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Welche Rolle spielt die Ukraine für die Nato?

Posted by Kris Roman - Mai 26, 2008

Jewgeni Koschokin für RIA Novosti

Die Frage nach der demokratischen Gestaltung der internationalen Beziehungen wird selten gestellt, weil sie für die Machthaber unangenehm ist.

Am unbequemsten ist die Frage für die USA. Nicht umsonst nannte der keineswegs „linke“ französische Philosoph Raymond Aron Amerika eine „imperiale Republik“. Gleichberechtigung in den internationalen Beziehungen und dementsprechende Demokratie – die Annahme von Beschlüssen im Einklang mit dem Völkerrecht entsprechen nicht den US-Interessen.

Die USA strebten und streben nach der Weltführung. Davon sprachen und sprechen die US-Präsidenten offen und ausgiebig. Eines der Instrumente, um die Führungsrolle zu spielen ist die Nato.

Dem Atlantik-Pakt gehören verschiedene Länder an. Die einen sind US-Satellitenstaaten und haben keine Möglichkeit, im Bereich der Verteidigung und Sicherheit eine mehr oder weniger autonome Politik zu verfolgen. Andere wollen als US-Verbündete einen bestimmten Handlungsspielraum behalten, um sich von der US-Politik distanzieren zu können, wenn diese den eigenen Interessen zu sehr widerspricht. Die Position der Nato-Mitglieder zum Anschluss der Ukraine an den Aktionsplan für den Nato-Beitritt (MAP) hat die Teilung in Verbündete und Vasallen verdeutlicht.

Tritt die Ukraine der Nato bei, so wird sie die Reihen der Vasallen auffüllen und so die innere Kräftekonstellation im Militärbündnis verändern.

Die Länder des so genannten Alten Europa werden für längere Zeit nur beschränkte Möglichkeiten haben, auf die Ukraine einzuwirken: Diese hat zwar die Chance, in absehbarer Zukunft der Nato beizutreten, dennoch wird es noch sehr lange dauern, um der Europäischen Union anzugehören – wenn überhaupt. Eine gleichzeitige Aufnahme der Ukraine in die Nato und die EU wird also nicht gelingen. Deshalb sehen die Europäer keinen Grund, den Nato-Beitritt der Ukraine zu forcieren. Einige von ihnen, aus der Reihe der Optimisten, wollen die Zeit zwischen dem Anschluss der Ukraine an die Nato und die EU verkürzen. Wie jedoch die Erfahrungen mit dem Baltikum und den Ländern von Mittel- und Osteuropa vor Augen geführt haben, hat die EU bislang keine ausreichenden Kräfte, die Neulinge auf europäische Art zu „disziplinieren“. Washington ist für sie bedeutsamer als Berlin oder Paris.

Warum wird ein so großes Land wie die Ukraine bei ihrem Nato-Beitritt als Vasall eingestuft werden? Vor allem wegen der inneren Schwäche des Landes. Seine regierende Klasse ist gespalten, und gerade jener Teil davon, der in Richtung Nato strebt, zeichnet sich durch seine besondere Unsicherheit aus, das große und komplizierte Land selbstständig zu regieren. Die zweifelhafte Legitimität des Präsidenten, der durch die orange Revolution an die Macht kam, lastet auf diesem Teil und zwingt ihn, einerseits auf eine Änderung der Verfassung und andererseits auf den teilweisen Verzicht der Souveränität des Landes zugunsten Washingtons oder Brüssels hinzuarbeiten. Gerade der „orange“ Teil der regierenden Klasse zeigt eine unverkennbare Angst vor dem eigenen Volk, denn schließlich ist es praktisch unmöglich, sich selbst über den wirklichen Unterstützungsgrad seitens der Wähler zu betrügen. Die ukrainischen Atlantiker können sich auch ein Referendum über den Nato-Beitritt nicht leisten. Sie wünschen eine Situation der Unumkehrbarkeit, in der das Referendum sinnlos wäre. Auch hoffen sie auf den Erfolg der gegenwärtig in der Ukraine laufenden Propagandakampagne zugunsten der Nato.

Die ukrainischen „Orangisten“ ziehen es vor, sich über die immer hoffnungslosere Nato-Operation in Afghanistan auszuschweigen. In der Tat: Wie soll den Menschen die Notwendigkeit des Beitritts zu einem militärisch-politischen Block erklärt werden, der die erste große Bodenoperation in seiner Geschichte mit sehr zweifelhaften Siegesaussichten durchführt? Im Falle des Beitritts zum Pakt wird die Ukraine kaum dabei bleiben können, ihr Kontingent in Afghanistan auf die symbolischen drei Mann zu beschränken. Um den Widerstand der Taliban zu brechen, ist eine militärische Kraft von etwa einer 300 000 Mann starken Truppe notwendig. Zur Zeit übersteigt das gesamte Truppenkontingent der Nato in Afghanistan kaum 45 000. Ein neuer Status will bezahlt werden, die Ukraine hat kein Geld, also wird es mit dem Leben ihrer jungen Menschen zahlen müssen.

Es liegt auch nicht im Interesse der ukrainischen Nato-Anhänger, zu erörtern, was mit der Verteidigungsindustrie des Landes geschehen wird. Für die USA und eine Reihe anderer westlicher Länder ist die Verteidigungsindustrie der Ukraine vor allem ein Konkurrent, der zudem zahlreiche Kooperationsverbindungen mit russischen Produzenten hat. Demnach festigt der ukrainische Militär-Industrie-Komplex Russlands Positionen auf dem Waffenweltmarkt. Die Beseitigung des Verteidigungskomplexes der Ukraine wird einen kommerziellen Doppeleffekt ergeben: die Ausschaltung des einen Konkurrenten und eine ernsthafte Schwächung des anderen. In der Ukraine wird es nach dem Nato-Beitritt niemanden geben, der die Interessen der Beschäftigten in der Verteidigungsindustrie schützen könnte. Die politische Bühne des Landes wird von Politikern vom Schlage eines Juschtschenko und einer Timoschenko dominiert, wenn auch nicht unbedingt von ihnen selbst.

Für kein Land, keinen Menschen, die einen Freiheitsraum in den internationalen Beziehungen wollen, kann der Status der Ukraine gleichgültig sein. Wird dieses große europäische Land seine Souveränität behalten oder teilweise verlieren? Leider ist Demokratie ein zerbrechliches Instrument, und das nicht nur in den inneren Angelegenheiten, sondern auch in den internationalen Beziehungen.

Zum Verfasser: Jewgeni Koschokin ist Direktor des Russischen Instituts für strategische Studien (Moskau).

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